Reif für die Insel

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Der Juli ist über uns hergefallen. Und wie! Die Großstadt kocht. Das Thermometer ist gnadenlos. Die Temperaturen kriechen unaufhaltsam auf die 35-Grad-Marke zu – und darüber hinaus. Ich krieche auch. Auf dem Zahnfleisch nämlich. Solche Hitze ist überhaupt nichts für mich. Bei 30°C flattern unkontrolliert die Augenlider, bei 35°C verdampft das Gehirn. So jeht det nich! Darum hat die Reiseleitung eine grandiose Idee: Ostsee. Binz!

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Und zwar nicht nur wie sonst morgens hin – abends zurück. Nee – ein ganzes Wochenende, so richtig mit ein bisschen mehr Zeit, Hotel-Übernachtung, Verwöhne, Wellenplätschern… eben mit (hoffentlich) Erholung! Ich bin natürlich begeistert; und über der Begeisterung verdränge ich, was uns zwei Übernachtungen im „Hotel Loev“ zu dieser Jahreszeit kosten. Frau gönnt sich ja sonst nichts!

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Also geht es am Freitag gleich mit sämtlichen Plünnen ins Büro; mein lieber Reiseleiter trägt das Wichtigste – das Ostseeticket – bei sich. Am zeitigen Nachmittag Treffpunkt Hauptbahnhof. Auf unserem Bahnsteig steht bereits ein Zug, aber nicht der von uns angepeilte. Aber der, der da steht – der fährt ohne Umsteigen nach Binz durch! Ich werfe mein Handy an (endlich wird es mal sinnvoll genutzt…) und stelle fest: unser Ostseeticket gilt auch im EC. Rin! Und ab!!! Unterwegs kommen uns (zu spät) Zweifel, ob das die richtige Entscheidung war. Eine Horde Kinderchen aus dem Odenwald ist auf dem Weg in die Jugendherberge Prora und sorgt mit Geräuschkulisse dafür, dass niemand der Reisenden womöglich erst in Schlummer und dann vom Hocker fällt.

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Frustrierte Radfahrer zählen uns an, weil wir unsere Plätze nicht für ihre Räder räumen wollen, ohne zu begreifen, dass ihnen auch das nichts nützt. 8 Fahrradplätze mit Reservierungspflicht – und das Bahnpersonal ist gnadenlos: Bei nächster Gelegenheit finden sich alle Radler ohne Reservierung vor den Toren der Großstadt auf dem Bahnsteig wieder mit dem Verweis auf den (ja immerhin stündlich fahrenden) Regionalexpress. Eine Klimaanlage im Waggon wäre im übrigen schön, bleibt aber Wunschtraum. Zum Glück gibt es für jeden ein Fläschchen Wasser und einen dicken, saftigen Apfel und außerdem als Schmankerl Nugat-Erdnuss-Cookies von der Kleenen. Die sind saulecker! Mein Reiseleiter wird von einem ambitionierten Radler in ein längeres Gespräch verwickelt. Mir weicht in der Zwischenzeit derart der Keks, dass ich mich kaum auf meine Zeitschriften konzentrieren kann und schließlich aufgebe.

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Aber das Ziel naht: 19:45 Uhr kriechen wir aus dem Zug und Richtung Hotel. Einchecken. Zimmer 101 – Dusche! Umziehen! Herrlich. Da es schon ziemlich spät ist, düsen wir gleich wieder los. Erst streben wir natürlich dem Strand zu – deswegen sind wir ja hier! Dann schlendern wir einmal die Hauptstraße rauf und runter, äugen nach möglichen Lokalitäten.  Der Italiener wird es schließlich. Bierchen. Weinchen. Gemüsepizza. Pizza mit Tomate und Basilikum. Der Magen knurrt bereits erheblich, wir lassen es uns schmecken. Die blaue Stunde naht. Gesättigt düsen wir nochmals ans Wasser, schlendern mit Meeresrauschen im Ohr den Strand entlang.

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Hier hat die „Strandbar“ ihre Zelte aufgeschlagen. Die verkauft aus einer kleinen Bude heraus Cocktails und Kartoffelpuffer. Die Gäste sitzen an kleinen Tischen oder in Strandkörben. Windlichter beleuchten die Nacht. Is dit schön. Wir laufen aber weiter, fotografieren das Abendrot und genießen die laue Luft. Denn im Gegensatz zur Großstadt kühlt es sich hier nachts angenehm ab.

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Der Samstagmorgen trifft uns leider ziemlich zerknautscht an. Schlecht geschlafen. Ich muss zusätzlich konstatieren, dass mein kleines Schnüpfchen nicht – wie erhofft – hinfort ist, sondern sich zu einer respektablen Rüsselpest ausgewachsen hat. Menno! Damit lassen wir unseren Plan für eine Radtour fallen. Erstmal Frühstück! Anschließend drehen wir eine Shopping-Runde. Der Kaffee muss schließlich durchlaufen! Leider finde ich tatsächlich Dinge, die ich für kaufenswert halte: Rügen-Badetücher, ein Halstuch mit Ankern, Sternen und Streifen (natürlich blau-weiß) und – Taschentücher. Nachdem das alles im Zimmer verstaut ist, gehen wir auf große Strandwanderung Richtung Prora. Am Strand die Schuhe aus und rein mit den Füßen ins Wasser!

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Der Strand ist schon so knallvoll, als wären Ferien. Aber damit war ja zu rechnen, und wir stören uns nicht daran. Unterwegs rasten wir auch für eine halbe Stunde. Der Gemahl taucht mit neuer, soeben gekaufter Badehose (weil er seine zu Hause vergessen hat) in die Fluten, während ich im heißen (!!!) Sand Blasen am Hintern kriege. Is det warm. Unglaublich.

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Kurz hinter Prora Kehrtwende, nachdem wir dort meterhohe Königskerzen bewundert haben. Rückweg. Hotel. DUSCHEN. Auf in die „Konditorei Peters“. Ich bin über meine Erkältung so frustriert, dass ich nicht mal Kuchen esse. Ein Eiskaffee muss es richten, und anschließend gibt es noch ein trockenes Brötchen von Bäcker Junge. Mein lieber Reiseleiter haut sich eine Kutterstulle und anschließend Rhabarber-Erdbeer-Streusel-Kuchen hinter. Immerhin darf ich den größten Streusel stiebitzen.

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Anschließend brechen wir in die Prora entgegengesetzte Richtung auf. Hier laufen wir eher selten lang – der Strand wird schnell sehr steinig, und an barfuß laufen ist nicht zu denken. Dafür ist es hier natürlich sehr viel ruhiger. Wenige Leute, dafür lassen sich Kormorane beobachten.

20150704_170226-1Der Strand zieht sich bis Sellin hin, aber soweit schaffen wir es natürlich heute nicht. Am frühen Abend treffen wir wieder in unserem Hotelzimmer ein. Ich muss mich aufs Bett werfen und ein wenig Siesta halten. Auch hier in Binz ist es enorm heiß, wenn man nicht gerade im Wasser herumplantscht. Wahnsinn.

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Ein wirklich leckeres Abendessen (Salat mit vier Sorten gebratenem Fisch und Spinat-Ricotta-Gnocci), ein kühles Blondes und einen wunderbar schmeckenden Tempranillo genießen wir in der „Brasserie Loev“. Natürlich schließt sich der Schlemmerei wieder ein abendlicher Strandspaziergang an. Als die Sonne so langsam hinter den Horizont und ins Meer purzelt, finden wir uns in der „Strandbar“ ein.

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Wir wollen hier auch so romantisch bei Kerzenschein am Meer sitzen (vor allem ich…)! Und das machen wir auch. Campari Orange und Cuba Libre munden bei 80er-Jahre-Songs vorzüglich. Ich verdränge die heftige Schnupferitis. Wir fühlen uns sauwohl! Vor allem ich könnte hier sitzen und sitzen… aber es wird spät und… KÜHL! Worum uns vermutlich alles, was weiter südlich positioniert ist, enorm beneidet. Vor allem die Chefin, die heute zum Glück nicht allein, sondern mit Schwesterchen und Schwager schwitzt, und Icke, die mit dem Klempner unseres Vertrauens bei 35°C und mehr in den schwiegerelterlichen Kirschbäumen herumturnt, die leider nicht an der Ostsee wachsen.

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Hochzufrieden mit diesem wunderbaren Sonne-und-Wellen-Tag schlendern wir am Wasser bis zur Seebrücke und von dort zum Hotel. Hundemüde ab unter die Dusche und dann ins Bett. Oh Wunder! Wir schlafen richtig gut.

Leider ist schon wieder der Sonntag herangekommen, aber so isses ja immer: Alles, was schön ist, ist in nullkommanix aufgegessen, verwelkt oder vorüber. So genießen wir nochmals das leckere Frühstück, gehen an den Strand, tauchen die Füße in die Ostsee. Holen bei „Peters“ Brötchen als Reiseproviant. Spülen im Hotel letztmalig den Sand zwischen den Zehen hervor. Schnappen uns unsere Plünnen und …sssst! sind wir schon wieder auf dem Weg zum Bahnhof. Aber immerhin mit einem Vorrat an Ostsee-Sommer-Feeling im Gepäck. Unser EC steht bereits auf Gleis 3 bereit. Und ist noch leer. Und klimatisiert. Keine irren Radler, die uns beschimpfen. Nüscht los! Der Zug setzt sich in Bewegung und schnauft Richtung Großstadtglut, in die wir pünktlich eintauchen. Wieder zu Hause. Aber wir träumen schon vom nächsten Mal, wenn wir uns aufmachen, die Sonne auf der Nase und Muschelsandstrand unter den Fußsohlen zu spüren. Und überall das Meer.

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5 Kommentare zu “Reif für die Insel

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